Stolpersteine in Hameln

Namen und Schicksale

 

Familie Marcus – Osterstraße 13

 

Moses Moritz und Erna Marcus

Moritz Moses Marcus wurde 1878 in Liebenau bei Nienburg geboren, seine Ehefrau Erna (geb. Lehmann) 1883 in Ahrensburg bei Hamburg. Die Eheleute hatten eine Tochter, die 1907 in Hameln geborene Ruth.

Der Kaufmann Moritz Marcus kam 1904 nach Hameln und wohnte in der Osterstraße 4. 1910 erwarb Moritz Marcus das Haus Osterstraße 13. In dem stattlichen Haus befanden sich damals ein Laden der Nähmaschinengesellschaft Singer & Co und – seit 1914 – in einem großen Saal im Hinterhaus die „Elite-Lichtspiele“. 1925 gründete Marcus einen Möbelgroßhandel, 1927 eine Möbelhandlung, also ein Ladengeschäft.

Das Kino wechselte mehrmals den Namen, hieß seit 1929 „Intimes Theater“, seit 1931 „Centraltheater“, seit 1933 schließlich „Kammerlichtspiele“. Marcus war nicht sein Besitzer, hielt aber Anteile daran.

Die NS-Herrschaft traf die Familie Marcus massiv. Im Boykottaufruf der Hamelner NSDAP, den die Dewezet am 1. April 1933 ganzseitig als Anzeige abdruckte, werden unter der Anschrift Osterstraße 13 sowohl der „Möbelhändler“ Marcus als auch die „Kammerlichtspiele“ genannt.

Aufgrund der andauernden antijüdischen Boykotte musste Moritz Marcus seinen Möbelhandel aufgeben. Er verkaufte sein Haus 1934 an den Inhaber der Papierhandlung Georg Saul. 1935 zogen die Eheleute nach Hamburg, wo sie in der Isestraße 9, nicht weit von der Wohnung ihrer Tochter, eine Bleibe fanden.

Während die Tochter mit ihrer Familie gerade noch rechtzeitig in die USA fliehen konnte, blieben Moritz und Erna Marcus in Hamburg zurück.

Briefe, welche die Tochter Ruth nach Hamburg schickte, scheinen Moritz und Erna Marcus nicht erreicht zu haben. Ruths Ehemann Wilhelm versuchte, für seine Schwiegereltern Visa nach Chile oder Kuba zu bekommen. Eine bereits bestätigte Schiffspassage von Erna Marcus nach Chile wurde storniert. Vielleicht hat sie es abgelehnt, ohne ihren Mann, der nicht auf der Liste der Ausreisenden stand, das Land zu verlassen.

1941 mussten Erna und Moritz Marcus in Hamburg in das „Judenhaus“ Bornstraße 22 ziehen. Am 15. Juli 1942 wurden die Eheleute in das „Altersghetto“ Theresienstadt deportiert, zwei Jahre später, am 15. Mai 1944, in das Vernichtungslager Auschwitz und dort ermordet.

 

Der Text des Stolpersteins für Moses Moritz Marcus lautet:

HIER WOHNTE
MOSES MORITZ
MARCUS
JG. 1878
UNFREIWILLIG VERZOGEN
1935 HAMBURG
DEPORTIERT 1942
THERESIENSTADT
ERMORDET 1944
AUSCHWITZ

 

Der Text des Stolpersteins für Erna Marcus lautet:

HIER WOHNTE
ERNA MARCUS
GEB. LEHMANN
JG. 1883
UNFREIWILLIG VERZOGEN
1935 HAMBURG
DEPORTIERT 1942
THERESIENSTADT
ERMORDET 1944
AUSCHWITZ

 

Ruth Marcus, verh. Hesse

 

Ruth, die einzige Tochter der Eheleute Markus, wurde 1907 in Hameln geboren. Früh gaben die Eltern sie in ein jüdisches Pensionat.

Zeitgenossen beschreiben Ruth als eine ausgesprochen schöne Frau, lebenslustig und charmant. 1932 heiratete sie den Rechtsanwalt Wilhelm Hesse und zog zu ihm nach Hamburg in die Isestraße 98. Weil jüdische Juristen im April 1933 die Zulassung zu den Amts- und Landgerichten verloren, musste Wilhelm Hesse seine Kanzlei schließen und verlor damit seine Existenzgrundlage.

Zwei Töchter, Helen und Eva, kamen 1933 und 1936 zur Welt. Wilhelm Hesse versuchte sich als Fotograph, kümmerte sich mit seinen juristischen Kenntnissen aber auch um die Hamburger jüdische Gemeinde, die zusehends verarmte. 1937 zog die Familie in eine bescheidene Wohnung in der Rothenbaumchaussee.

Wilhelm Hesse hatte schon länger die Ausreise der gesamten Familie (mit den Großeltern Marcus) in die USA geplant. Nach dem Novemberpogrom 1938, bei dem er selbst nur mit Glück einer Verhaftung entging, schickte er zuerst die Kinder ins sichere Ausland. Mit einem Kindertransport konnten Helen und Eva nach Holland ausreisen, wo sie in einem katholischen Kinderheim untergebracht werden.

Juden, die ausreisen wollten, wurden vom NS-Staat systematisch ausgeplündert, ihre Konten per „Sicherungsanordnung“ gesperrt.

Am 5. Februar 1939 verließen die Eltern Hamburg, holten die Kinder aus Holland ab und fuhren mit ihnen nach London. Am 16. Juni 1939 bestiegen sie ein Schiff, das sie von Southampton nach New York brachte, wo sie am 23. Juni 1939 landeten.

Die Anfänge in New York waren schwer. Seinen Beruf konnte Wilhelm Hesse nicht ausüben, da er als deutscher Jurist im US-Recht nicht bewandert war. So ließ er sich zum Versicherungsvertreter umschulen. Mutter Ruth führte den Haushalt und nähte.

Ruth, die sich große Sorgen um das Schicksal ihrer Eltern machte, wurde immer wieder von Depressionen heimgesucht. Im Herbst 1944 verließ sie ihren Mann und die beiden Töchter, 1946 nahm sie sich das Leben.

Eva Hesse, die jüngere der beiden Töchter, wurde eine bedeutende Künstlerin. Sie starb 1970 im Alter von 36 Jahren an einem Hirntumor.

 

Der Text des Stolpersteins für Ruth Marcus, verh. Hesse, lautet:

HIER WOHNTE
RUTH MARCUS
VERH. HESSE
JG. 1907
FLUCHT 1939
USA

 
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